#003: Der Mythos vom Unternehmertum

Warum der Traum von der Selbstständigkeit oft zum Albtraum wird.

Worum geht’s?

Die Zahl der Selbstständigkeiten und Kleinunternehmen in Deutschland, die die ersten fünf Jahre nach ihrer Gründung überstehen, ist erschreckend gering. Von denen, die nach fünf Jahren noch am Ball sind, wurschteln sich viele mehr schlecht als recht durch den Geschäftsalltag. Dauerstress, Überarbeitung und Existenzängste kennt jeder von uns. Doch für viele Selbstständige ist das Dauerzustand. Warum ist das so? Und können wir dagegen etwas tun? Diese Fragen untersuche ich in der dritten Folge des Impact-Makers-Podcast.

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Das Script zur Folge

Der Mythos vom Unternehmer – Warum scheitern fast zwei Drittel aller Einzel- und Kleinstunternehmen in Deutschland spätestens fünf Jahre nach ihrer Gründung?

Was sagt die Statistik?

2017 wurden in Deutschland rund 900.000 Unternehmen gegründet. Im selben Jahr wurden aber auch Eine Million Unternehmen geschlossen. Das verrät uns eine Statistik namens „Unternehmensgründungen und -schließungen“ des Statistischen Bundesamtes.

Wenn wir weiter in den Zahlen buddeln, finden wir statistische Angaben zu Überlebensraten von Unternehmen in Deutschland im Verlauf der Zeit: Zum Beispiel – im Jahr 2017 lebten nur noch 42 Prozent aller Unternehmen, die fünf Jahre zuvor gegründet wurden.

(Quelle, abgerufen am 24.02.2020: Statistisches Bundesamt)

Warum ist das so? Warum haben Unternehmensgründungen in Deutschland so schlechte Überlebenschancen? Um diese Frage beantworten zu können, wollen wir uns anschauen, wer die Gründer von Unternehmen in Deutschland sind.

Der Mythos vom Unternehmer

Ein Unternehmer ist jemand, der sein Geld risikiert, um Gewinn zu machen. Das lernen wir meist schon in der Schule. Und wir lernen, dass Unternehmen von Unternehmern gegründet werden. Das klingt logisch. Tatsächlich stimmt diese Aussage aber nur in den seltensten Fällen.

Ein amerikanischer Autor namens Michael E. Gerber hat schon vor Jahrzehnten ähnliche Entwicklungen in seinem Land beobachtet. Und er hat daraus messerscharf geschlussfolgert, dass es sich bei der Aussage „Unternehmer gründen Unternehmen“ lediglich um einen Mythos handelt. Dieser Mythos ist allerdings sehr weit verbreitet. Und Gerber hat ihm deshalb einen Namen verpasst. Er nennt ihn ‚The Entrepreneurial Myth‘ – den Mythos vom Unternehmertum.

Wer gründet Unternehmen?

Wenn es aber nicht Unternehmer sind – wer gründet denn dann die meisten Unternehmen in Deutschland? Das Statistische Bundesamt hilft uns auch hier weiter. Wir schauen wieder in das Jahr 2017, weil es noch keine neueren Daten gibt. Das tut der Sache keinen Abbruch, denn die Zahlen weichen in anderen Jahren kaum ab.

Also, von den insgesamt rund 900.000 neu gegründeten Unternehmen waren … Trommelwirbel …. 870.000 Gründungen Einzel- und Kleinstunternehmen mit bis zu vier Mitarbeitern. Das heißt, fast 97 Prozent aller in Deutschland gegründeten Unternehmen sind Einzel- und Kleinstunternehmen.

Nun liegt die Überlebensrate für Einzel- und Kleinstunternehmen nach fünf Jahren mit 37 Prozent sogar noch fünf Prozent unter dem Durchschnitt für alle Neugründungen. Und damit ist jetzt aber Schluss mit der Zahlenparade!

Die spannende Frage lautet: Wer gründet denn nun diese Einzel- und Kleinstunternehmen? Das sind meiner Erfahrung nach fast immer Menschen, die in einem bestimmten Fachgebiet Experte sind. Zum Beispiel die Illustratorin, der Videofilmer, der Webdesigner, die Bauingenieurin, der Klempner, die Frisörin und der Onlinemarketing-Spezialist. Die Fotografin, der Softwareentwickler und der KFZ-Meister.

Der Trugschluss: Fachexperte = Unternehmer

Denn es herrscht der Glaube vor: wer viel von einem Fachgebiet versteht, versteht gleichzeitig auch etwas von einer Firma, die in diesem Fachgebiet tätig ist. Teilweise ist sogar unser Bildungssystem in Deutschland auf diese Annahme ausgerichtet. In vielen Handwerksberufen muss man zum Beispiel einen Meisterbrief vorweisen, bevor man überhaupt ein Unternehmen gründen kann. Offenbar glauben wir also als Gesellschaft daran, dass wir als ausgewiesener Experte in einem Fachgebiet die Qualifikation haben, um ein Unternehmen zu gründen.

Die Statisiken sagen uns etwas ganz anderes. Sie legen nahe, dass es sich dabei wohl um einen folgenschweren Trugschluss handeln muss.

Wie kommt es zu diesen Gründungen?

Schauen wir uns einmal an, wie so eine typische Gründung eines Einzel- oder Kleinstunternehmens entsteht. Vielleicht erkennst du auch eine Situation aus deiner eigenen Unternehmensgründung wieder. Ich war vor zwanzig Jahren Student der Ingenieurswissenschaften und habe mir Webdesign und Programmierung selbst beigebracht, weil mich das Thema fasziniert hat. Da damals jede Firma eine Webseite brauchte und ich über entsprechende Fähigkeiten verfügte, gründete ich mit Partnern eine Agentur für Webdesign. Ich fand den Gedanken, mein eigenes Ding zu machen, schon immer großartig. Als Student verdiente ich damit im Nebengewerbe gutes Geld. Aber nach ersten Aufträgen, die wir aus dem eigenen Bekanntenkreis an Land gezogen hatten, merkten wir: es gibt keinen direkten Zusammenhang zwischen unseren Fähigkeiten als Webentwickler und unserem Unternehmenserfolg.

Nun kann ich mir vorstellen, die meisten Gründungen entstehen aus einem Angestelltenverhältnis heraus. Nach einer Fachausbildung übt unser zukünftiger Gründer erst einmal ein paar Jahre seinen Beruf als Fachexperte aus. Er programmiert Webseiten, macht die Buchhaltung für Mandanten in einer Steuerkanzlei oder arbeitet in einem Frisörsalon. Weil er in seinem Fachgebiet besonders gut ist oder auch weil er besonders viel Spaß an seiner Tätigkeit hat – blitzt eines Tages ein Gedanke in ihm auf. Es ist der Gedanke: wie wäre das, wenn ich meine Fachexpertise nicht mehr für jemanden anderes einsetze sondern für mich auf eigene Rechnung? Wie wäre das, wenn ich mein eigener Boss wäre? Wie wäre das, wenn ich die Zügel in der Hand hätte – schließlich bin ich der Experte in meinem Fachbereich. Und was mein Chef kann, das kann ich auch – und zwar schon lange.

So ein Gedanke reift. Wir malen uns die schönsten Träume aus. Von einem freien und selbstbestimmten Leben. Von materiellem Reichtum und davon, wie wir nur noch das tun, was uns richtig viel Spaß macht. Viele verwerfen solche Gedanken schließlich wieder – was ich sehr schade finde – aber das ist ein anderes Thema. Doch es gibt Menschen, denen lässt der Gedanke keine Ruhe. Und irgendwann schreiten sie zur Tat – und machen sich selbstständig. Damit kein falscher Eindruck entsteht: ich beglückwünsche jede Person zu dieser Entscheidung. Ich bedauere aber, dass so ungeheuer viele Träume nicht real werden – wie uns die Statistik zeigt.

Eine fiktive Story: die Konditorin

Um die Ursachen dafür zu erklären, verwendet der amerikanische Autor Michael Gerber – von dem vorhin schon die Rede war – in seinem Bestseller „The E-Myth“ eine fiktive Geschichte.

Es geht um eine Freizeitkonditorin, die ihr Hobby zum Beruf gemacht hat. Sie ist jetzt drei Jahre dabei. Und sie würde in unseren Statistiken zu den 48 Prozent der Einzelunternehmen zählen, die die ersten drei Jahre überlebt haben.

Nun heißt, „überlebt zu haben“ aber noch lange nicht, erfolgreich zu sein. Vielen Selbstständigen mit „überlebenden Unternehmen“ geht es ähnlich wie der Dame in Gerbers Buch. Sie ist hoch verschuldet, weil sie ihr Erspartes in die Einrichtung ihres Ladengeschäfts gesteckt hat. Sie arbeitet jeden Tag unglaublich viel. Das Tortenbacken selbst ist nur eine von zahlreichen Tätigkeiten im Betrieb und macht ihr mittlerweile schon lange keinen Spaß mehr. Und sie kann von ihren Einnahmen kaum überleben.

So wie unserer Konditorin geht es am Anfang leider den meisten Fachexperten, die sich selbstständig machen. Zuerst regiert die Begeisterung – doch bald schon folgt die Ernüchterung – dann kommt Erschöpfung und zum Schluss endet es in Verzweiflung.

Denn wenn ein Fachexperte sich selbstständig macht, gründet er fast immer einen Job anstelle eines Unternehmens. Die Arbeit, die er einmal begeistert ausgeübt hat, wird zur lästigen Pflicht. Und sie wird zu einer neben vielen anderen Tätigkeiten, von denen der Fachexperte allerdings deutlich weniger versteht. Die einst geliebte Facharbeit verkommt zur notwendigen Routine, die möglichst schnell abgearbeitet werden muss, damit sich der Gründer allen anderen Themen widmen kann. Dadurch verliert die Facharbeit ihre Besonderheit, die ganz speziellen Fähigkeiten unseres Gründers zu repräsentieren. Und der Selbstständige verliert nicht nur die Begeisterung für seine einstige Arbeit sondern er verliert viel mehr als das: Er verliert sein Selbstvertrauen und er verliert den Grund, wofür er einmal das Risiko der Selbstständigkeit auf sich genommen hat.

Das Problem ist noch komplizierter

Der Fachexperte an sich ist nicht das Problem. Die Sache ist etwas komplizierter. Das tatsächliche Problem ist, das wir als Gründer nicht nur den Fachmann mitbringen, sondern noch zwei weitere Persönlichkeiten, die in uns stecken: den Manager und den Unternehmer. Wir tragen Persönlichkeitsmerkmale aller drei Rollen in uns. Und das führt unweigerlich zu inneren Konflikten. Denn diese drei Persönlichkeiten – der Fachmann, der Manager und der Unternehmer – die haben teilweise vollkommen unterschiedliche Vorstellungen davon, wie unser Unternehmen gestrickt soll.

In der nächsten Podcast-Folge beschäftigen wir uns mit diesen drei Typen in uns genauer. Das darfst du auf keinen Fall verpassen. Denn wenn wir verstehen, welche Konflikte wir als Kleinstunternehmer mit uns selbst auskämpfen, dann halten wir damit einen mächtigen Schlüssel für das Tor zu unserem Herzenbusiness in der Hand.

Zusammenfassung

Ich fasse die heutige Folge noch einmal für dich zusammen. Wir haben aus öffentlichen Statistiken gelernt, dass von allen in Deutschland gegründeten Einzel- oder Kleinstunternehmen fünf Jahre nach der Gründung gerade noch 37 Prozent existieren. Und sechsundneunzig Prozent aller Unternehmensgründungen sind Einzel- und Kleinstunternehmen.

Also haben wir uns gefragt: wieso die Erfolgsquote so außerordentlich bescheiden ist. Dabei haben wir einen Mythos aufgedeckt, der uns meist schon in der Schule eingetrichtert wurde: Unternehmen werden von Unternehmern gegründet. Das sind Menschen, die ihr Kapital investieren, um Gewinn zu machen. Tatsächlich jedoch werden die meisten Unternehmen von Fachexperten gegründet, bestätigen die Daten des Statistischen Bundesamtes. Dahinter steckt offenbar die trügerische Annahme, dass Menschen, die etwas von ihrem Fachgebiet verstehen auch etwas davon verstehen, ein Unternehmen zu führen, dass in diesem Fachgebiet tätig ist.

Doch das scheint eher die Ausnahme zu sein. Die Regel ist vielmehr, dass sich die meisten Gründer kein Unternehmen erschaffen – sondern einen Job. Und dieser Job kann ganz schnell zum Gegenteil dessen werden, wovon der Unternehmer in uns einmal geträumt hatte. Statt frei und selbstbestimmt zu leben, sehen wir uns plötzlich durch Kunden oder Mitarbeiter fremdgesteuert. Und statt des erhofften Premiumeinkommens, können wir mit unseren Einnahmen geradeso die Kosten decken – wenn es gut läuft.

Und wir haben gelernt, dass die Ursache der allermeisten Probleme bei Einzel- und Kleinstunternehmern nicht in der Fachexperteneigenschaft an sich liegen. Sondern dass wir als Gründer insgesamt drei Persönlichkeiten in uns vereinen, die eigentlich gar nicht miteinander vereinbar sind.

Im nächsten Artikel schauen wir uns diese inneren Konflikte zwischen dem Fachmann, dem Manager und dem Unternehmer in uns genauer an. Denn dann können wir bewusst entscheiden, wie wir denken und handeln wollen.

Veröffentlicht im Mai 2020

#004: Fachmann vs. Manager vs. Unternehmer

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